Flugangstamnesie

Flugangstamnesie

Die Natur ist eine kluge und umsichtige Schöpferin, die ihren Kreaturen viele nützliche kleine Features mit auf den Weg gegeben hat. Tarnanzüge, zum Beispiel: Keine Erfindung des Militärs, sondern eine von Mutter Natur. Wie zum Beispiel das auffällige schwarz-weiße Gefieder der Pinguine – eigentlich dient es der Tarnung. Schwimmen die Pinguine im Meer, sind sie wegen ihres weißen Unterbauchs für Jäger, die ihnen von unterhalb der Wasseroberfläche nach dem Leben trachten und dabei nach oben in das helle Sonnenlicht schauen müssen, schwerer zu sehen. Für Jäger, die sie von oberhalb der Wasseroberfläche erspähen wollen, hebt sich ihr dunkles Rückengefieder hingegen kaum von der dunklen Wasseroberfläche ab.

Andere kluge Erfindungen der Natur sind wärmende Fettschichten für Bewohner kalter Gegenden, ein bis zwei Höcker zur Wasserspeicherung für Bewohner trockener Gegenden, und besondere Gedächtnisfunktionen für Lebewesen mit höherem Bewusstsein: Menschen vergessen Dinge.

Das ist eine ziemlich nützliche Funktion für die Erhaltung der Spezies Mensch, denn anders lässt sich nicht erklären, warum Frauen freiwillig ein zweites, drittes oder viertes Kind zur Welt bringen: Die Natur hat es so eingerichtet, dass Frauen den Geburtsschmerz quasi direkt nach der Geburt einfach vergessen.

Ich persönlich leide zum Beispiel an Flugangstamnesie. Jedes Mal, wenn ich einen Flug buche, habe ich nämlich meine Flugangst einfach vergessen. Buchen – Klick – Bestätigen – Klick – Wollen Sie Ihr E-Ticket Per E-Mail erhalten? – Klick. Und schon ist das Ticket gekauft, der Flug gebucht, und nicht ein Gedanke ist daran verschwendet worden, dass ich jedes Mal, wenn ich dann in einen Flieger steige, ich fest überzeugt bin, dass ich sterben werde.

So auch dieses Mal. Als ich gestern in den Flieger stieg, fiel es mir dann wieder ein, wie jedes Mal: Die Dinger fallen doch gefühlt ständig vom Himmel. Und dann sitze ich in meinem Sitz und bekomme bei jeder kleinen Turbulenz, jedem Ruckeln, jedem lauten Geräusch Schnappatmung. Kalter Schweiß ziert meine Stirn, meine Hände verkrampfen sich verzweifelt um den nächstbesten Gegenstand und ich bilde mir 13 Stunden lang, bis zur Landung, ein, dass sich Schrauben lösen und Teile abfallen und Triebwerke entzünden und Höhenruder ausfallen und verrückte Piloten Selbstmord begehen werden. Mein Magen fühlt sich an als würde er ausgewrungen, mein Herz würde mir ja aus dem Hals springen, wenn sich nicht eine eisige eiserne Klammer darum gelegt hätte.

Und dann landen wir. Ich quäle mich durch die Passkontrolle und meine Stirn wirft minütlich mehr Falten, bis mein Koffer – wie üblich als einer der letzten – auf das Gepäckband rollt. Und wie jedes Mal schwöre ich mir: Nie wieder werde ich fliegen. Dieser Stress!! Wenn man mit der deutschen Bahn zum Flughafen muss und die Deutsche Bahn – egal wieviel Puffer man sich auch einplant – immer noch mehr Verspätung hat, als das eigene Worst Case Scenario hergegeben hat. Wenn man 13 Stunden lang in der Luft um sein Leben bangt, und anschließend nochmal eine Stunde lang um seinen Koffer! Und diese Umweltverpestung erst! Und dann ist man müde und gerädert, und überhaupt, Deutschland ist doch total schön und da kann man alles auf dem Landweg erreichen. Wozu überhaupt in so eine dämliche fliegende Blechbüchse steigen? Menschen gehören überhaupt nicht in den Himmel.

Aber wie gesagt, die Natur hat ja vorgesorgt. Ich trete aus dem Flughafengebäude, ein paar Palmen wehen im lauen Sommerlüftchen sanft hin und her, vom blauen Himmel lacht die Sonne und wärmt das Gemüt. Woran hatte ich gerade nochmal gedacht? Vergessen. Ich setze mich in den Biergarten zwischen Langzeitparkplatz, Taxistand und dem kleinen Inlandsterminal und trinke genüsslich eine Pampelmusenlimo.

Dann schiebe ich mein Wägelchen mit meinen Koffern zum Terminal C und checke lächelnd für meinen Anschlussflug ein. Mit dem Bus werden wir über das Rollfeld gekarrt, wo die nächste Maschine auf uns wartet. Gut, dass ich an Flugangstamnesie leide und mir meine lähmende Flugangst immer erst dann wieder einfällt, wenn ich in meinem Sitz sitze und die Motoren anspringen.

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Eine Antwort

  1. Mum sagt:

    Toll geschrieben. Mir ist, als würde ich mitfliegen!

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