Auf den Hund gekommen

Auf den Hund gekommen

Die Nordwestpassage: Im Vergleich zu Roald Amundsen, der die Nordwestpassage als erster mit dem Seeschiff durchfahren hat, waren wir mit 24 Tagen rasend schnell. (Vor ihm hatte sie im Jahr 1854 übrigens bereits der britische Polarforscher McClure durchquert, allerdings zum Teil auf dem Landweg, deshalb gildet das nicht). Amundsen hat in seiner Gjoa drei Jahre gebraucht, zwei lange Winter steckte sein Schiff im Eis fest.

Schon im Sommer ist die arktische Tundra im Norden Kanadas eine deprimierende Einöde in Graugelb, im Winter jedoch, wenn die Wolken noch tiefer hängen, der Himmel noch trüber und die Tage so kurz sind, dass die trostlosen, kalten Nächte quasi nahtlos ineinander übergehen, da möchte ich mir gar nicht ausmalen, wohin die Gedanken spazieren gehen.

Der letzte Hafen, den wir in der Nordwestpassage anlaufen, ist Gjoa Haven, genau da, wo Amundsen und seine winzige Crew von sechs Mann in der geschützten Bucht mit ihrem Schiff überwinterten. Danach sind wir ein paar Tage lang auf See – fahren durch die Bellot Strait und überqueren die Baffin Bay – und landen schließlich in Illulissat in Grönland.

Was für ein Kontrast zur Nordküste Kanadas! Grönland ist zwar zu einem sehr großen Teil unter einer Eiskappe begraben, aber an den Küsten wächst auf dem schroffen Gestein ein üppiger Vegetationsteppich aus Gräsern, Moosen und Flechten, der sich in sattem Grün, Ocker und Rostrot vor uns erstreckt. Dazwischen stehen bunt gestrichene Häuschen. In Ilulissat befindet sich der berühmte Eisfjord: Ein Gletscher kalbt dort in den Fjord, aber die Eismassen schaffen es nicht hinaus ins offene Meer, weil eine Gletschermoräne (kann man sich vorstellen wie eine Sandbank) an der Fjordmündung sie aufhält, und so läuft der ganze Fjord mit riesigen Eismassen voll. Das strahlende Weiß bildet einen spektakulären Kontrast zum dunklen Gestein und dem bunten Vegetationsteppich, ein Anblick von fast surrealer Schönheit.

Mein Herz schlägt höher, als ich feststelle, dass es doch noch Farben gibt – aber am allerhöchsten schlägt es, als ich auf dem Weg zum Eisfjord an den Hundehütten vorbeikomme. Die Schlittenhundehaltung hat in Grönland eine lange Tradition, und auch wenn Autos und Motorschlitten die Hunde immer mehr verdrängen: In Ilulissat leben etwa 4.800 Menschen und, je nachdem, welcher Website man glauben will, zwischen 2.000 und 3.000 Grönlandhunde. In den Wintermonaten sind Hundeschlitten für die Menschen in Grönland bis heute oft noch das einzig funktionstüchtige Transportmittel.

Wer in Deutschland an Schlittenhunde denkt, denkt oft zuerst an Huskies. Wegen ihres hübschen Äußeren sind diese auch in gemäßigteren Zonen als Haustiere beliebt geworden, wegen ihres starken Charakters finden sich schönen Tiere aber leider häufig unversehens in Tierheimen wieder.

Man unterscheidet sibirische Huskies, alaskischen Huskies und Malamuts. Der sibirische Husky ist ein kleinerer Rassevertreter, aber ein sehr schneller und ausdauernde Läufer, der deshalb gern für Schlittenhunderennen eingesetzt wird. Der Malamut ist größer und kräftiger als der sibirische Husky, weniger schnell und angeblich noch sturer, aber ein Kraftpaket, das bis zu einer halben Tonne Gewicht ziehen kann. Der alaskische Husky ist eigentlich gar keine einheitliche Rasse, sondern eher eine „bunte Tüte“: Die alaskischen Schlittenhundeführer selektierten bei der Zucht ausschließlich danach, wie leistungsbereit und zäh die Hunde waren, und so sind alaskische Huskies heute in allen Größen, Formen und Farben vertreten.

Samojeden sind eine weitere bekannte Schlittenhunderasse. Wer die Rasse nicht kennt: Samojeden sind große, flauschige, schneeweiße Fellkugeln mit Knopfaugen. Ihr Wesen ist freundlicher als das der meisten Huskyrassen, die traditionell in Zwingern und nicht im Haus gehalten wurden. Die Samojeden-Völker Sibiriens, nach denen diese Tiere benannt sind, schliefen gemeinsam mit ihren Hunden im Zelt. Aus eigener Erfahrung kann ich berichten, dass keine Wärmflasche oder Heizdecke der Welt mit dem wärmenden Qualitäten eines Hundes mithalten kann. In so einem Samojedenzelt musste sicher niemand frieren. Dieses enge Zusammenleben mit den Menschen hatte aber auch zur Folge, dass zur Aggression neigende Tiere rasch ‚aussortiert‘ und nicht für die Zucht eingesetzt wurden, so dass Samojeden sowohl untereinander verträglicher als auch menschenbezogener sind als zum Beispiel Huskies.

Grönlandhunde sind die größte, stärkste und ursprünglichste der Huskyrassen. Die Tiere sind ausdauernd, arbeits- und eigenwillig, und leben auch heute noch üblicherweise in Zwingern. In Ilulissat ist ein ganzes Ortsgebiet den Hunden vorbehalten: Wie in einer kleinen Siedlung steht hier Hütte an Hütte, die Hunde selbst sind entweder angekettet oder haben einen kleinen Auslauf, in dem sie sich bewegen können. Nur die Welpen laufen völlig frei herum, und zu unserem großen Entzücken kommen ein paar tollpatschige Jungtiere neugierig auf uns zu, als wir auf dem Weg zum Eisfjord-Zentrum das Hundeviertel durchqueren müssen. Wir sind eigentlich gehalten, die Hunde nicht anzufassen, aber den Hunden hat das wohl keiner gesagt: Schwanzwedelnd kommen die Kleinen angelaufen, beschnuppern uns und stecken ihre kleinen, feuchten Nasen in unsere hingehaltene Hand. Letztlich können wir ihnen doch nicht widerstehen und kraulen sie heimlich hinter den plüschigen kleinen Öhrchen. Bitte nicht dem Capt’n verraten.

Auch Amundsen hatte auf seinen Reisen an die Pole der Welt Grönlandhunde dabei. Einen seiner Grönlandhunde mit dem Namen Obersten kann man bis heute hinter den Ohren kraulen: Nachdem Oberstens Seele in den Hundehimmel aufgestiegen war, wurde sein Fell ausgestopft und heute steht er im Skimuseum Holmenkollen in Oslo.

Ich, für meinen Teil, freue mich schon darauf, meine eigenen, gar-nicht-schlittengeeigneten Hunde wieder hinter ihren Flauschohren zu kraulen, und frieren muss ich ja dann glücklicherweise auch ohne Hunde im Bett nicht. Wir haben eine ganz normale Zentralheizung.

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Eine Antwort

  1. Mum sagt:

    Kein Wort ist überflüssig, wunderbar informativ, genial wie immer und die Bilder sind fantastisch. Danke, dass ich an Deinem Abenteuer teilhaben darf.

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