Quiet Luxury

Quiet Luxury

Modetrends gibt’s viele, und einer der vielen ist „Quiet Luxury“: unaufgeregter Luxus. Wer dem Trend folgt, kleidet sich in überaus unaufgeregten Beige-Tönen, ohne auffällige Muster, minimalistisch, klassisch. Kein Bling-Bling und keine großen Markenlogos, aber falls der Look nicht unerhört teuer war, soll er wenigstens luxuriös aussehen.

Aber was genau ist heutzutage eigentlich noch „Luxus“, wenn man sich einen Kaschmirpulli bei Temu bestellen, mit dem Billigflieger zum All-Inclusive-Urlaub in die Karibik fliegen oder bei Aldi Champagner kaufen kann?

Es gibt Dinge, die empfinde ich in meinem eigenen Leben täglich als großen Luxus. Ein sauberes zu Hause, zum Beispiel. Denn wenn die Wohnung stets aufgeräumt und frisch geputzt ist, heißt das, dass ich entweder genug Zeit habe, um sie selbst in Schuss zu halten – weil mein Einkommen es nicht erfordert, einen zweiten oder dritten Job annehmen zu müssen – oder es heißt gar, dass mein Einkommen mir gestattet, jemand anderen mit dem Putzen meiner eigenen vier Wände beauftragen zu können. Täglich ist mir dieser Luxus bewusst; für viele Menschen in anderen Ländern, und zunehmend sogar hier, ist es gelebte Realität, dass ein zweiter Job nötig ist, um das Überleben zu sichern.

Überhaupt, „Überleben“ ist ein gutes Stichwort. Bei vielen Menschen auf der Welt dreht sich der Alltag genau darum: Um das Überleben. Obwohl sie jeden Tag hart arbeiten, können Sie sich außer einem Dach über dem Kopf und Nahrung nicht mehr viel leisten. Ist das ein Verstoß gegen die Menschenrechte? Wohl kaum. „Decent Work“ ist eine Sache: Arbeit muss ein würdiges Leben ermöglichen. Aber ein würdiges Leben ist eines, in dem die menschlichen Grundbedürfnisse erfüllt sind: Wohnung, Nahrung, Gesundheit. Die Menschenrechte sichern jedem Menschen darüber hinaus den Schutz von Leben, Freiheit und Sicherheit der Person, Gedanken- und Meinungsfreiheit und Gleichheit vor dem Gesetz zu. Aber ich habe in der Charta der Menschenrechte noch keinen Passus entdeckt, in dem das Menschenrecht auf Urlaub, Kosmetik, ein modisches Outfit und eine fabelhafte Work-Life-Balance festgeschrieben würde.

Überhaupt, Mode… „Kleidung“ ist natürlich etwas, das wir Menschen in Ermangelung von Fell zwingend brauchen. Sich modisch kleiden zu können, das ist aber Luxus. Und nicht frieren zu müssen – ebenso. Als mein Jüngster etwa 12 Jahre alt war, war er in einer American-Football-Mannschaft. Auch im Winter wurde trainiert. Ich sparte mir teure Thermo-Wäsche für ihn vom Munde ab. Als er dem Football Adieu sagte, landete die Wäsche in meinem Schrank und begleitete mich, viele Jahre später, in die Antarktis. Seither weiß ich: In der Tat hält das teure Zeug wärmer als das, was ich mir damals eigentlich leisten konnte. Nicht frieren zu müssen – ein wundervoller Luxus.

Und nicht nur, weil ich mir heute kuschelige Socken aus echter, wärmender Wolle leisten kann, sondern auch, weil ich mir weder um die Funktionsfähigkeit meiner Heizung noch die Kosten ihres Gebrauchs Gedanken machen muss. Früher war ich jedes Mal, wenn ich die Heizung heruntergedreht habe, dankbar, dass meinem Jüngsten immer eher zu warm war. Heute bin ich jedes Mal, wenn ich die Heizung aufdrehe, dankbar, dass ich nicht erst Kohlen schleppen und Holz hacken muss, und dass ich es mir heute leisten kann.

In den Urlaub fahren zu können ist ein weiterer solcher Luxus. Jahrelang habe ich als alleinerziehende Mutter weder Urlaub im Sinne von Freizeit noch Urlaub im Sinne von Verreisen gehabt. Meine Eltern nahmen meinen Jüngsten mit auf ihre Abenteuer; ich arbeitete, studierte und lernte in der Zeit. Und ich lebe noch: In anderen Worten, es ist keine überlebenswichtige Notwendigkeit, alle paar Monate ein paar Wochen frei zu haben und zwei Mal im Jahr zu verreisen. Ich bin der lebende Beweis. Und ich rede gar nicht von Luxus-Urlaub: Auch die Freiheit und Möglichkeit, sich den Rucksack aufzubinden, Balkonien zu bereisen oder das Zelt ins Auto zu packen sind schon Luxus. Ich weiß aus eigener Erfahrung: Es geht auch ganz ohne Urlaub.

Ein weiterer, oft übersehener Luxus ist: Essen, worauf ich Appetit habe. Für Generationen von Menschen gab es nur das, was gerade auf dem Feld wuchs oder was sich lange hielt. Ob man nun den ganzen Winter Appetit auf Kohl hatte oder nicht: Es gab halt – Kohl. Auch ich habe viele Jahre lang nicht essen können, was mir am besten schmeckt, sondern habe gegessen, was ich mir leisten konnte: Das Brot aus der Tüte. Bockwurst, weil sie günstig ist. Kartoffeln mit Kräuterquark, weil sie auch günstig sind und außerdem besser schmecken als Bockwurst. Wenn es hieß „Was essen wir heute?“, war die Gegenfrage nicht: „Worauf hast Du Lust?“, sondern „Was haben wir im Kühlschrank?“ – und das wurde gegessen, ob wir Appetit darauf hatten oder nicht. Die Aussage „Ich kaufe immer nur für eine Mahlzeit ein, schließlich weiß ich ja heute nicht, worauf ich morgen Appetit habe“: Der Inbegriff von dekadentem Luxus.

Deshalb ist mir der Modetrend „Quiet Luxury“ egal. Die Tatsache, dass ich in einer sauberen, warmen Wohnung esse, worauf ich Lust habe, während ich mir überlege, wohin der nächste Urlaub geht: DAS ist der Inbegriff von Luxus.

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